photoaward

Grünwald Jürgen Jürgen Grünwald

Fuck

„Digital Life“ ist eine Serie von Fotografien die sich mit dem digitalen Leben in unserem Alltag beschäftigt. Das Bild „Digital Love“ aus dieser Serie setzt sich mit der Thematik der Online-Liebe auseinander. Ein Hotelzimmer, ein Bett, zerklüftete Bettlaken. Die Szene stellt ein eigentlich „analoges“ Liebesspiel dar, dass aber durch die Platzierung der Typografie, die nicht retuschiert, sondern mit der Technik der Lichtmalerei gezeichnet wurde, eine Schnittstelle bildet zwischen digitalem und analogen.

Jürgen Grünwald & Julian Weidenthaler 

 MG_9997

 MG_9999

Der unsichtbare und vielfältige fotografische Prozess, der zu beiden Bildern geführt hat, der Spiegelbild, Bild, Spiegelbild, Bild erzeugt hat, gehorcht diesem Rhythmus in der Zeit. Beide Ergebnisse sind Bild gewordenes »nunc stans«, sie sind ein Jetzt; unvergleichlich besser noch als jeder Schnappschuss, weil der Künstler so lange Zeit an ihnen gearbeitet hat.

von Martin Ross

Gerade die Abweichungen vom immer als streng empfundenen Prinzip der Symmetrie in der Bildkomposition verweisen indirekt auf diesen Prozess. Symmetrie ist ein Phänomen des Raumes, in der Zeit gibt es keine Symmetrie.

Das Nebeneinander als simultane Erscheinung ist in beiden Fotos durch die erwähnten Details aus der Regelhaftigkeit der klassischen bilateralen Symmetrie herausgehoben. Das ist schon daran zu sehen, dass es weder einen zweiten entsprechenden Sessel noch einen zweiten – eventuell »richtig« wiedergegebenen – entsprechenden Buchstaben zu sehen gibt. Die zentralen Elemente des Bildes sind die Achse selbst, so kann man sagen. Und dann ist es das Hochformat beider Bilder, das dem Gefühl der Breitenentfaltung, das mit der Wahrnehmung symmetrischer Phänomene immer einhergeht, zuwiderläuft, von ihm ablenkt. So entsteht eine frontale Flächigkeit, die an sich einer Tiefenwirkung, die ein zeitlich-prozessuales Phänomen ist, entgegenwirkt. Dies zeigt vielleicht am ehesten noch das Buchstabenbild, das Sesselbild hingegen enthält diese Tiefe. Das heißt auch, dass beide Bilder in einem spannungsgeladenen Verhältnis zueinander stehen.

Die Zeit, als Prozess betrachtet (es gibt ja auch andere Zeitauffassungen als die prozessuale), ist in ihrer Bewegungsrichtung nicht umkehrbar, wir können in ihr nicht zurückgehen, sie solcherart durchmessen, Grenzen setzen und dann Entsprechungen entlang von Achsen festlegen. In der Zeit gibt es daher grundsätzlich keine Symmetrie, wie bereits Dagobert Frey festgestellt hat. Wenn es so etwas wie eine (regelmäßige) Wiederholung gleicher Formen in der Zeit gibt, dann ist das keine Symmetrie, sondern Rhythmus. Rhythmus treibt voran, von beiden Bildern Jürgen Grünwalds will man wissen: Was wird mit dem Sessel geschehen? Wohin wird er gebracht werden? Was besagt der Buchstabe? Zu welchem Wort gehört er? Die Fragen treiben an. 

Ein Sessel, einsam im Raum stehend, wie zum Abtransport verpackt und bereitgestellt. Ein überdimensionaler Buchstabe, spiegelverkehrt, von Streben gestützt, von der Dachkante in die Gegend blickend. So unscheinbar wie auch ungewöhnlich sind diese beiden Sujets, und man fragt sich, wovon sie sprechen. Der Sessel ist verpackt, verschnürt, auf eine unregelmäßige Weise, die in das regelmäßige Ambiente eingepasst ist: Es zeigen sich – leicht nach links verschoben – trapezförmige Raumstrukturen, die den Sessel rahmen; das Bild ist symmetrisch, aber nicht strikt. Der Buchstabe R, Teil eines in die Landschaft schauenden Schriftzugs auf dem Dach eines Firmengebäudes, wird von den erwähnten Streben gehalten, die als dienende Stützen sich ebenfalls wie ein Trapez zeigen, und so wirkt auch dieses Bild symmetrisch. Aus der Strenge herausgenommen wird die Komposition durch den Buchstaben selbst, der nicht symmetrisch ist, wie etwa ein M oder ein W oder ein A oder ein O symmetrisch wären.

Was beide Fotos von Jürgen Grünwald besonders macht, ist, dass sie in einem mehrstufigen Verfahren hergestellte Daguerreotypien sind. Das erste Abbild kommt beim Fotografieren auf ein Kleinbildnegativ zustande. Nach der Entwicklung wird im nächsten Schritt der Abzug gemacht, der dann wiederum auf ein Großbild umkontaktet wird, von dem schließlich die Daguerreotypie reproduziert wird. Während dieses Verfahrens wechselt das Abbild des Gegenstands permanent von Spiegelung zu Nichtspiegelung. Dies mag technisch bedingt und womöglich selbstverständlich sein, doch der Entstehungsprozess ist Jürgen Grünwald wichtig. Es geht auch um die Sichtbarmachung der dabei stattfindenden Veränderungen. Im Ergebnis mögen sie vielleicht nicht sichtbar sein, aber:

JÜRGEN GRÜNWALD, geb. 1981
absolviert seit 2009 an der Kunstuniversität Linz den Bachelorstudiengang Grafik-Design / Fotografie.

Ausstellungen_

offstage, bb15 - Raum für Gegenwartskunst, 2012
CC-Projekt, Arkade Linz, 2012
Rinnen, Kunstuniversität Linz, 2012
Inkognito, Magistrat Linz, 2012
Musenspiele, Austria Tabak, 2012
Work in Progress, Fotowetbewerb Wacker Neuson, 2012
Linzer Augen, Salzamt, 2011

mdot